Legal Tech in China – Neuere Entwicklungen des Legal Tech in China

Erneut konnten wir als Initiative CIRCLE for Students den Inhaber des Osnabrücker Lehrstuhls für Chinesisches Recht Prof. Dr. Georg Gesk für uns gewinnen.

Nachdem er in Deutschland Sinologie studierte, ging Prof. Gesk im Jahr 1987 für ein Studium nach Taiwan, welches er 1993 erfolgreich abschloss. Danach promovierte er an der NTU zum Chinesischen Eigentumsrecht, um dann 2015 den Lehrstuhl in Osnabrück anzunehmen. Er hat mehrfach zur Entwicklung von LegalTech in China publiziert.
Aufgrund dessen kann Prof. Gesk durchaus als Experte in dem Gebiet Legal Tech in China angesehen werden.

Mit dem Vortrag möchte er den Teilnehmenden einen kurzen Einblick in die derzeitigen Entwicklungen in diesem Bereich gewähren.


Der Vortrag beginnt mit einer Erklärung, warum sich Legal Tech gerade in dem Land der Mitte so rasant ausbreitet. Dies ist laut Gesk das Resultat aus dem Profilierungsdruck der Justiz, sich als modern und progressiv zu bewähren. Auch der Konkurrenzdruck zwischen den Institutionen und der Justiz wird als Treiber dieser Entwicklung genannt. Unterschiedliche KI-Anwendungen und KI-Systeme, somit auch unterschiedliche Unternehmensstrukturen, verstärken den Konkurrenzdruck innerhalb Chinas.


Im weiteren Verlauf widmet er sich den Algorithmen der KI-Systeme. Dabei befasst er sich eingehend mit der Frage, ob die Algorithmen als Werkzeug der Justiz anzusehen sind, oder ob die Algorithmen als justizieller Entscheider fungieren.

Wenn der Algorithmus nicht nur Beweismittel nach ihrer Zuverlässigkeit rankt, sondern mit deren Hilfe Urteile erstellt, dann wird aus dem Werkzeug ein Entscheider. Solche Urteile zeichnen sich durch eine geringe Berufungsquote aus, was in einem Land wie China als Zeichen von Akzeptanz gesehen wird.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine enorme KI-Beteiligung bei Massenverfahren. Wird ein Musterprozess mit Verhandlung anberaumt, können die Parteien an einem solchen Prozess teilnehmen und dann entscheiden, ob sie einen Prozess mit mündlicher Verhandlung wollen, (der dann von einem menschlichen Richter geleitet wird), oder ob sie einem Prozess zustimmen, der dann u.U. rein KI-basiert eine Entscheidung bzw. ein Urteil findet.
Es ist in den entsprechenden Pilotprojekten auch nicht unüblich, dass Vorschläge für einen gerichtlichen Vergleich per KI bestimmt werden.


Die Frage, ob der Algorithmus ein Werkzeug der Justiz ist oder ein justizieller Entscheidungsfinder, kann also nicht eindeutig beantwortet werden. Nichtsdestotrotz profitieren die Algorithmen der KI-Systeme zum einen von der vollständigen Erfassung von Urteilen, zum anderen hat dies die Notwendigkeit der Entwicklung einer Analysematrix aufgezeigt. Es entsteht dadurch eine Matrix, die qualitative Urteile von Richtern quantitativ erfassen kann.

Es darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden, dass auch in China die KI (und deren Algorithmen) nach wie vor als Assistent der Richter fungiert. Allerdings muss bedacht werden, dass der Begründungsdruck des Richters bei einer Abweichung vom Algorithmus immens hoch ist. In der Konsequenz besteht daher dennoch die Gefahr, dass der Algorithmus den Richter dominiert, obwohl der Richter nominell die Priorität der Entscheidung hat.

Als kleinen Exkurs gibt Prof. Gesk einen Einblick in den außergerichtlichen Bereich des Legal Tech in China. Erwähnenswert sind vor allem die MircoCourt-Apps. Sie ermöglichen beispielsweise die
Klageerhebung per Handy. Dies führt zu einer Ökonomisierung der Justiz und schafft als Folge dessen einen digitalen Marktplatz für Justiz-Dienstleistungen.

Des Weiteren beschäftigt sich Prof. Gesk mit der nicht-justiziellen Sanktionierung durch Algorithmen. Dabei bezieht er sich vor allem auf das Social Credit System. Entsprechend des Social Credit Systems werden Personen entweder präferenziell behandelt oder ausgeschlossen. Dies begünstigt die Entwicklung einer Service Industrie in Bezug auf das Punktesystem.

Dabei entsteht die Situation, dass die Allgemeinheit an die Objektivität des Algorithmus glaubt, und infolgedessen immer mehr nicht-justizielle Sanktionierungen durch Algorithmus-Systeme fordert. Eine gerichtliche Auseinandersetzung mit einer letzten menschlichen Kontrollinstanz wird folglich immanent.

Im weiteren Verlauf spricht Prof. Gesk über die Grundlagen, die eine KI-geführte Justiz erst ermöglichen. So ist, anders als in Deutschland, in der chinesischen Verfassung kein Recht auf einen verfassungsrechtlichen Richter verankert. Die Möglichkeit der Einführung von KI-Richtern ist also wesentlich größer als in Deutschland. Weiterhin spielen auch faktische Grundlagen eine Rolle. So entsteht beispielsweise durch den Personalmangel in der Justiz und der geringeren Berufungsquote bei maschinellen Entscheidungen ein faktischer Druck hin zu KI-gestützten Entscheidungen.


In der Konsequenz kann festgehalten werden, dass die Anwendung von KI auch in China nur unter der Ägide von Richtern durchgeführt werden soll. Eine Eingriffsmöglichkeit für Richter bleibt daher zumindest normativ bestehen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Urteile, die entweder ganz oder teilweise automatisch erstellt werden, eine deutliche Erleichterung für die Justiz darstellen.
Zu guter Letzt ist jedoch auch der Reformdruck der Gerichte durch außergerichtlich KI-basierte Sanktionen nicht zu unterschätzen.

Damit endet der aufschlussreiche Vortrag des Prof. Dr. Gesk über die neueren Entwicklungen des Legal Tech in China.

Es war CIRCLE for Students eine große Ehre und Freude, Herrn Prof. Dr. Georg Gesk begrüßen zu dürfen

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